Als uns unsere Freundin Sarah erzählte, dass sie vorhabe, einen 10-tägigen Vipassana-Meditationskurs in Indien zu machen, dachten wir: Warum nicht? Eine gute Möglichkeit, die ersten Weltreise-Eindrücke zu verarbeiten, den Kulturschock abzufangen und nach den zwei stressigen Referendariatsjahren wieder mehr zur Ruhe und zu sich selbst zu finden.
Von Jaipur aus machten wir uns auf den Weg, passierten den Affentempel und kamen schließlich beim wunderschön gelegenen Dhamma Meditation Centre an. Pfaue, Streifenhörnchen und Affen streiften umher (erst später entdeckten wir, dass es auch riesige Spinnen und Skorpione gab). Um die 100 Leute drängelten sich um das Office-Desk, saßen im Garten, unterhielten sich und tranken Chai; viel mehr Männer als Frauen, viel mehr Inder als Traveller. Eine bunt gemischte Truppe durch alle Altersklassen (tatsächlich auch viele alte Menschen, die kaum mehr laufen konnten) und alle Typen – vom deutschen Manager bis zur australischen Aussteigerin.
Elektronische Geräte, Bücher und Stifte mussten wir abgeben; man soll sich nicht durch Dinge ablenken lassen und keinen Kontakt zur Außenwelt aufnehmen. Auch unsere Wertsachen bzw. sämtliches Geld sowie Kreditkarten mussten wir in fremde Hände geben. Ein komisches Gefühl, tragen wir doch sonst immer alles, was wichtig ist, am Körper. Die Angst vorm Verlieren gaben wir mit ab. Ein Gefühl von Leichtigkeit machte sich breit...
Wir bezogen unsere Zimmer. Jeder sein eigenes. Man darf schließlich keinerlei Kontakt mit anderen Menschen haben. An das kalte Wasser aus Eimern zum Duschen gewöhnt man sich schnell. Ebenso daran, auf einem Bettgestell zu schlafen, das mit einer Spanplatte und der dünnsten Matratze, die ich je gesehen habe, bestückt war. Die Toilette musste mit Wasser aus Eimern abgespült werden. Fasziniert beobachtete ich eine Ameisenstraße durch mein Zimmer: unermüdlich trugen sie tote Insekten durch's Zimmer und verschwanden schließlich in einem Wandloch.
Wir hatten uns mit unserer Unterschrift verpflichtet, den Code Of Discipline einzuhalten, der aus den fünf folgenden Punkten besteht:
1) Abstention from killing (bezieht sich auf alle Lebewesen – manchmal bei Mosquitos nicht so einfach...).
2) Abstention from stealing.
3) Abstention from all sexual activities (damit ist sämtlicher Körperkontakt, z.B. Hände schütteln, umarmen etc. gemeint).
4) Abstention from telling lies.
5) Abstention from all intoxicants (Drogen, Alkohol, Zigaretten, Kaffee...).
Diejenigen, die schon einmal einen Kurs mitgemacht hatten, mussten außerdem folgende Regeln einhalten:
6) Abstention from taking food after 12 noon.
7) Abstention from sensual amusement and bodily decorations.
8) Abstention from using high and luxurious beds (also wenn unsere Betten als "luxuriös" beschrieben werden, möchte ich nicht wissen, was hiermit gemeint ist...).
Zusätzlich zu diesen Regeln galt ab dem Zeitpunkt der Einführung am ersten Abend die Noble Silence ("silence of body, speech and mind", d.h. auch Gesten, Körper- und Blickkontakt sollten vermieden werden), die wir für die gesamte Dauer des Kurses einhalten mussten.
Nach der ersten Meditation am Abend ging es um 9 Uhr uns Bett. Licht aus.
Der Aufwachgong ertönte am nächsten Morgen um 4 Uhr. Es war dunkel und kalt. Wir schleppten uns in die Meditationshalle, in der wir zwei Stunden meditierten, bevor der Gong die sehnsüchtig erwartete Frühstückspause ankündigte. Auch der Rest des Tages erfolgte streng nach Zeitplan:
4:00 am | | Morning wake-up bell |
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4:30-6:30 am |
| Meditate in the hall or in your room |
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6:30-8:00 am |
| Breakfast break |
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8:00-9:00 am |
| Group meditation in the hall |
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9:00-11:00 am |
| Meditate in the hall or in your room according to the teacher's instructions |
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11:00-12:00 noon |
| Lunch break |
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12noon-1:00 pm |
| Rest and interviews with the teacher |
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1:00-2:30 pm |
| Meditate in the hall or in your room |
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2:30-3:30 pm |
| Group meditation in the hall |
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3:30-5:00 pm |
| Meditate in the hall or in your own room according to the teacher's instructions |
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5:00-6:00 pm |
| Tea break |
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6:00-7:00 pm |
| Group meditation in the hall |
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7:00-8:15 pm |
| Teacher's Discourse in the hall |
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8:15-9:00 pm |
| Group meditation in the hall |
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9:00-9:30 pm |
| Question time in the hall |
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9:30 pm |
| Retire to your own room--Lights out |
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Wer mal mitrechnet, kommt auf zehn Stunden reine Meditationszeit, dazu kamen die Discourses, also die Erklärungen uns Erläuterungen des Teachers. Freie Zeit gab es so gut wie keine, aber was hätte man in dieser auch machen sollen...
Auch Zeit zum Nachdenken hatte man kaum. Während der Meditation ging es darum, Körperempfundungen zu beobachten. Und zwar nur zu beobachten. Und dabei gleichmütig zu bleiben. Das ist nicht so einfach: der Geist ist zu Beginn ständig unruhig und schweift ab.
Vipassana ist eine der ältesten Meditationstechniken Indiens und wurde nach langer Vergessenheit vor mehr als 2500 Jahren von Gotama, dem Buddha, wiederentdeckt. Vipassana heißt, Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind und ist ein Prozess der Selbstbeobachtung. Dadurch soll der Geist gereinigt werden und man erlangt Erleuchtung.
Die ersten drei Tage praktizierten wir Anapana-Meditation, die Beobachtung des eigenen Atems innerhalb des Bereichs der Nase und oberhalb der Lippen. Zehn Stunden am Tag saßen wir da und beobachteten unsere Empfindungen in diesem Bereich. Während der restlichen sieben Tage wurde das Feld ausgeweitet und wir "tasteten" mit unserem Geist unseren Körper von oben bis unten ab und beobachteten sämtliche Empfindungen (Schmerz, Schweiß, Kälte, Stoff, Kitzeln, Zittern...). Das stundenlange Sitzen ist zu Beginn wirklich anstrengend: ständig schlafen einem die Beine ein, die Knie tun weh, der Rücken noch mehr... Aber es wird besser und zum Schluss schafft man es tatsächlich, in der einstündigen Gruppenmeditation eine ganze Stunde sitzen ohne sich zu bewegen (ja, auch nicht mal kurz kratzen oder Beine strecken) durchzuhalten.
Sehr befremdlich war das nicht enden wollende Bedürfnis mancher Inder sich ihrer Gase aus sämtlichen Körperöffnungen zu entledigen (dabei standen die Frauen den Männern in nichts nach!). Ich versuchte dem Ganzen mit Gleichmut (es ging ja genau darum, diesen zu entwickeln) zu begegnen. Das klappte eher selten...
Insgesamt war es eine wirklich spannende Erfahrung und wir sind froh durchgehalten zu haben. Es ist anstrengend so sehr bei sich zu sein, sich ständig auf den jetzigen Moment zu konzentrieren. Es gab Phasen, in denen man einfach keine Lust mehr hatte, Phasen, in denen einem langweilig war oder die Schmerzen so stark wurden, dass der Gleichmut nirgends mehr zu finden war. Dann gab es wieder hochkonzentrierte, wirklich effektive Phasen.
Insgesamt war es eine spannende Erfahrung, die uns sicherlich näher zu uns selbst gebracht hat.
May all beings be happy!